In unserem ersten Blogbeitrag haben wir darüber berichtet, welche Kohlekraftwerke die RheinEnergie betreibt bzw. an welchen sie beteiligt ist. In diesem Gastbeitrag von deCOALonize Europe wird dargelegt, woher die Steinkohle für die Kraftwerke Rostock und Mannheim kommt und unter welchen Bedingungen diese dort abgebaut wird.

Sibirische Narben

Warum der deutsche Energiehunger auf Kosten russischer Dörfer geht

Es ist noch gar nicht lange her, da exportierte Russland kaum Steinkohle. Damit war es schneller vorbei als man „ugol“ sagen konnte, das russische Wort für Kohle. Heute ist Russland der drittgrößte Exporteur und der sechstgrößte Produzent von Steinkohle weltweit. Zwei Fünftel der in Deutschland verbrauchten Steinkohle kommen aus Russland (1).

Leider ist über den russischen Teil der Lieferkette nur sehr wenig bekannt. Auch die deutschen Energieversorger, die Abnehmer der Kohle, scheinen allenfalls vage zu wissen, was sie da importieren. Darauf deutet hin, dass sie ihr Greenwashing-Instrument „Bettercoal“ nutzen, um an Informationen über die russischen Bergbaukonzerne zu kommen. Anders als die Öl- und Gasförderer sind die Kohlekonzerne in Russland privatwirtschaftlich. Darunter sind die Unternehmen Kuzbassrazrezugol, Siberian Business Union, Mechel, Siberian Coal Energy Company (SUEK), Energougol und Razrez Bungursky-Severny.

Die Folgen des Kohleabbaus
Die Kohle, die nach Zentraleuropa gebracht wird, stammt nahezu ausnahmslos aus einer Region mit Namen Kuzbass (Abkürzung für Kuznetsker Becken) im Süden Sibiriens. Das Revier erstreckt sich zwischen den Städten Kemerovo und Novokuznetsk auf einer Fläche von 63.000 Quadratkilometern – das entspricht 63 % der Fläche der Niederlande (2). Nach Angaben der russischen NGO Ecodefense (3) verschlingen die Tagebaue und Transportrouten häufig ganze Dörfer, weil die Kohlekonzerne sich an deren bereits ausgebauter Infrastruktur bedienen: Stromtrassen, Straßen und Schienen. Die Kohleindustrie ist tödlich: 93,8 % der Trinkwasservorräte sind vergiftet (4). Krebs- und Lungenerkrankungen häufen sich. Eine Besonderheit der russischen Tagebaue besteht darin, dass die Kohle aus dem Boden heraus gesprengt wird, woraufhin sich der Staub mit dem Wind verteilt und auf die umliegenden Siedlungen legt. Das traurige Ergebnis: Die Lebenserwartung im Kuzbass liegt drei bis vier Jahre unter dem ohnehin nicht hohen russischen Durchschnitt.

Der Widerstand in Russland
Natürlich räumen die Dorfbewohner*innen im Kuzbass – genauso wie die Garzweiler- und Hambach-Anwohner*innen im rheinischen Braunkohlerevier – nicht alle ihre Häuser freiwillig. Was dann passiert, zeigt das Beispiel des Dorfes Kazas. Die Häuser der letzten hartnäckigen Bewohner*innen verbrannten alle gleichzeitig. Eine offizielle Untersuchung der Brandursachen hat es nie gegeben (5).

Trotz gruseliger staatlicher und zivilrechtlicher Repressionen nimmt der lokale Widerstand Fahrt auf. Die Dorfbewohner*innen haben begonnen, sich zu versammeln und – zunächst zögerlich – sich zu organisieren. Direkte Aktionen und Kleingruppenaktionen sind selten, aber es gibt sie. Vor kurzem legten zum Beispiel zwei Dorfbewohner mit einer Sitzblockade vor dem Haupttor einer Grube den Betrieb stundenlang lahm. Anschließend wurden sie vom Minenbetreiber auf Schadeneratz verklagt.

Die Kohleindustrie zerstört die Lebensgrundlagen indigener Gruppen, die seit Jahrtausenden in dem Gebiet im Kuzbass leben. Die sibirischen Schor*innen zum Beispiel haben ihr Land verloren (6). Die Schorin Valenina Bekrinova sagt: „Wir Schor*innen glauben, dass das Land, der Boden, die Pflanzen und die Berge eine Seele haben. Der Bergbau hat sie alle getötet.” Und auch die wenigen verbliebenen Teleuten – zusammen nicht mehr als 2000 – können kaum noch Widerstand leisten.

In den vergangenen zwei Jahren gab es einige große Erfolge der Anti-Kohle-Bewegung in Russland. Ein Gericht in Belovo entschied im Frühjahr 2018, der Kohleabbau sei „keine Notwendigkeit für die Regierung“. Ecodefense und die Menschenrechtsanwält*innen von „Team 29“ hatten zuvor gegen den Bau einer neuen Grube geklagt (7). Sie erreichten zwei Dinge: Erstens entzog das Gericht dem Konzern Stroypozhservice die Genehmigung für die Grube. Das war eine Premiere in Russland: Nie zuvor hatte ein Gericht ein bereits genehmigtes Bergbauprojekt gekippt. Zweitens musste „Stroypozhservice“ nun auch die Zwangsenteignungen stoppen.

Offenbar wurde die Anti-Kohle-Bewegung in Russland den Mächtigen zu erfolgreich: Ecodefence wird seit Beginn des Jahres 2019 heftig kriminalisiert. Alexandra Korolewa, die Direktorin der
NGO, ist aus Russland geflohen und hat in Deutschland politisches Asyl beantragt und im Dezember 2019 bekommen (8).

Der Export der russischen Kohle
Die russische Exportkohle wird über die Seehäfen abtransportiert. Der Großteil gelangt über Pazifikhäfen nach Japan und Südkorea (9). Die Kohle liegt in den Docks haufenweise herum, direkt neben den Wohnhäusern. Auch hier bauen die Anwohner*innen zunehmend Widerstand auf.

Steinkohle, die für Zentraleuropa bestimmt ist, nimmt den Weg über die Ostsee. Zu den wichtigen Häfen zählen Murmansk, das lettische Riga und vor allem Ust-Luga in der Nähe von St. Petersburg, ein hoch-automatisierter Umschlagplatz mit gigantischem Durchsatz. Von hier aus wird die Kohle zum Beispiel nach Stettin, Rostock, Hamburg, Rotterdam, Amsterdam und Antwerpen verschifft.

Zusammengefasst scheren sich die russischen Kohlekonzerne einen Dreck um die Menschen und ihren Widerstand. Und sie wissen den russischen Staat auf ihrer Seite. Die Menschen im Kuzbass werden alleine gelassen. Ein Weg, das zu ändern, könnte darin bestehen, die Probleme in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen, innerhalb und außerhalb Russlands.

Niemand soll mehr wegschauen können. Schon gar nicht die russischen Kohlekonzerne.

Hinweis
Dieser Text basiert auf einem Kapitel des Buches „Still burning“, herausgegeben vom Aktionsbündnis „deCOALonize Europe“ im Sommer 2019 (10).

Anatolij Maitakov, Myski, Kuzbass

Anatolij Maitakov, Myski, Kuzbass. Foto Vjacheslav Krechetov


Quellen

1) Verein der Kohlenimporteure, Jahresbericht 2018, S. 72: 19,4 Mio. t wurden 2017 aus Russland importiert. Das entspricht 40% der Gesamtimporte von 48,5 Mio. t.
2) Encyclopaedia Britannica, abgerufen am 11. Mai 2019: https://www.britannica.com/place/Kuznetsk-Coal-Basin
3) www.ecodefense.ru, Ecodefense wird von der russischen Regierung massiv unter Druck gesetzt. Unter Berufung auf das „ausländische Agenten“-Gesetz musste die NGO 28.000 € Strafe zahlen. Außerdem wurde ihr Konto eingefroren.
4) gelesen im Bericht „The Cost of Coal – Impact of Russian Coal Mining on the Environment, local Communities and indigenous Peoples“ der russischen NGO Ecodefense
5) Film „Condemned“ über die Kohledörfer im Kuzbass: https://www.youtube.com/watch?v=m6numrY6rSk
6) https://www.gfbv.de/de/aktiv-werden/regionalgruppen/regionalgruppe-muenchen
7) https://ecodefense.ru/2018/04/13/coal-mining-is-not-a-governmental-need-court-rules-in-russian-kuzbass, Siehe auch: http://londonminingnetwork.org/2018/04/coal-mining-is-not-a-governmental-need-rules-russian-court
8) https://www.tagesschau.de/inland/ecodefense-101.html
9) Verein der Kohlenimporteure, Jahresbericht 2018, S. 41
10) Still burning, herausgegeben von „deCOALonize Europe“ (2019), https://www.robinwood-shop.de/de/infomaterial/brosch%C3%BCre-still-burning-steinkohle

Fotos
Foto 1: Ortsschild „Kazas“. Das Dort wurde inzwischen abgebaggert.
(copyright: Nelli Tokmagasheva)
Foto 2: Der Schore Anatolij Majtakov bei einer Mahnwache im Kuzbass.
(copyright: Vjacheslav Krechetov)